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Foto: Black Salmon/Shutterstock

Botox gegen Depressionen?

Könnte man Depressionen mit Botox „wegspritzen“, wäre das wohl ein Hit. Studien und deren Auswertungen dazu sind jetzt zu einem internationalen Wissenschaftlerstreit eskaliert.

Die WHO schätzt die Zahl der Menschen, die an Depressionen leiden, auf mehr als 264 Millionen. Die derzeit verwendeten Therapeutika sind bei fast einem Drittel der Patienten unwirksam“, schrieben Tigran Makunts von der Skaggs School of Pharmacy (University of California/San Diego) und seine Co-Autoren 2019 in der Zeitschrift Scientific Reports. Während ihrer Lebenszeit erkranken acht bis zwölf Prozent der Menschen zumindest einmal an einer Depression. Jede zusätzliche Hilfe wäre wünschenswert.

Die US-Experten fanden in einer pharmaepidemiologischen Beobachtungsstudie Hinweise auf eine Wirksamkeit von Botulinumtoxin (auch) gegen Depressionen. „Die Forscher werteten die Daten von mehr als 40.000 Personen in einer Datenbank der US-Zulassungsbehörde FDA aus, die Botulinumtoxin zur Behandlung von Hyperhidrosis, Gesichtsfalten, zur Migräneprophylaxe und bei Spastizität erhalten hatten“, hieß es dazu unlängst in der deutschen Pharmazeutischen Zeitung. Eine mögliche Wirkung von Botulinumtoxin im Gehirn selbst wäre auch möglich. In Scientific Reports hatten die US-Wissenschaftler beispielsweise bei Patienten mit kosmetischer Behandlung per Botox wegen Gesichtsfalten von um 56 Prozent selteneren Depressionen berichtet. In der Migräneprophylaxe war die Häufigkeit um 40 Prozent geringer als ohne Verwendung von Botox, nach einer solchen Behandlung gegen Lähmungen an Armen/Händen gar um 72 Prozent seltener.

Die US-Wissenschaftler schrieben in ihrer Studie allerdings auch, dass es zur Bestätigung solcher Beobachtungsergebnisse neuer Untersuchungen mit Placebo-Kontrolle bedürfe, die von vornherein für Bestimmung eines möglichen Effekts von Botulinumtoxin auf die Psyche geplant werden. Schon hier stößt man allerdings automatisch an Grenzen: Wer sich Botulinumtoxin injizieren lässt, verspürt natürlich sofort eine Wirkung, zum Beispiel die Entspannung von Muskelgruppen, das Glätten von Gesichtsfalten. Damit ist eine Placebo-Kontrolle schwierig.

Hypothese
Nun liegen bereits einige klinische Untersuchungen vor, zum Teil auch mit versuchter Placebo-Gruppe (Kochsalzlösung). Im März 2021 trat die Diskussion in ein neues Stadium. Jara Schulze von der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) und ihre Co-Autoren publizierten im Journal of Psychiatric Research eine Metaanalyse. Sie fassten fünf klinische Studien zur Verwendung von Botox und Depressionen zusammen und werteten die Daten noch einmal aus. Fazit: Die Botulinumtoxin-Injektionen hätten einen mehr als doppelt so starken antidepressiven Effekt wie die sonst üblichen Antidepressiva.

Das glauben US-Wissenschaftler keinesfalls. Nicholas Coles von der Stanford University (Kalifornien) hatte bereits 2019 eine ähnliche Metaanalyse zu Botox und Depressionen bzw. den klinischen Studien durchgeführt und in Emotion Review veröffentlicht. Bis auf eine der verwendeten Studien hatten die
Experten dieselben wissenschaftlichen Arbeiten wie die deutschen Experten noch einmal analysiert. Sie kamen zu einem ganz anderen Ergebnis: Jede der Studien sei mit weniger als hundert Teilnehmern klein gewesen. Die Placebo-Kontrolle könne wegen der eindeutigen Effekte von Botox nicht funktioniert haben. Und schließlich: Vier der fünf Studien seien vom Botox-Hersteller finanziert worden.

Die Wahrheit wird sich wohl erst mit weiteren Untersuchungen herausstellen. Die Verfechter einer „Facial-Feedback-Hypothese“ hoffen, dass die behauptete positive Wirkung von Botox auf Depressionen stimmt. Die Hypothese lautet im Endeffekt, dass bestimmte Bewegungen der Gesichtsmuskeln die Emotionen des Betroffenen beeinflussen. Ob das mit Botox besser als mit Entspannungstraining erfolgt und ob daran
überhaupt große Erwartungen zu knüpfen sind, ist nicht klar.

Kritisch zu hinterfragen ist zudem die Methodik der Metaanalysen. Wenn zwei Metaanalysen unter Verwendung fast identischer Studien zu konträren Ergebnissen kommen, spricht das nicht wirklich für die Methodik. Sie wird auch häufig im sogenannten Health Technology Assessment (HTA) verwendet.

Quelle: www.medinlive.at

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